YouTube-Video der Böll-Anekdote zur Arbeitsmoral kein Pastiche?

, letztes Update:

Mit Urteil vom 28.03.2024, Az. 14 O 181/22 (nicht rechtskräftig) hat das Landgericht Köln die öffentliche Wiedergabe eines YouTube-Videos, das die Fabel der Heinrich Böll-"Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral" sprachlich modernisiert und als Cartoon-Videodarstellt, untersagt. Das Video war von einem Lehrer, der seinen Schülern den Böll-Text nahebringen wollte, erstellt und auf YouTube hochgeladen worden. Dagegen geklagt hatte ein Verlag, der die Rechte an dem entsprechenden Text von Heinrich Böll hält.

1.

Trotz der Übertragung des Sprachwerks (Text) von Böll in das andere Medium Video-Cartoon (Filmwerk) liegt eine Vervielfältigung der Böllschen Fabel vor. Mangels humoristischen oder verspottenden Elements lag nach Ansicht des LG Köln zudem keine Karikatur oder Parodie i.S.d. Urheberrechtsschranke gem. § 51a Satz 1 UrhG vor.

2.

Und auch eine anlehnende Nutzung "zum Zwecke des Pastiche", also in der Art einer Hommage an Böll, liegt nach Ansicht des LG Köln nicht vor, da die neue, aus dem EU-Recht kommende Pastiche-Schranke gem. § 51a Satz 1 UrhG keine "alleinige Nutzung" eines vorbestehenden Werks zulasse:

"cc) Schließlich liegt auch kein Pastiche im Sinne von § 51a UrhG war. Dies gilt obwohl der Begriff des Pastiches gemeinschaftsrechtlich noch nicht abschließend geklärt ist (vergleiche dazu BGH, EuGH-Vorlage mit Beschluss vom 14.09.2023 – I ZR 74/22 – Metall auf Metall V).

Denn unabhängig davon, ob die Schrankenregelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ein Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling ist und ob für den Begriff des Pastiche einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage gelten (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 – Metall auf Metall V, Rn. 23, juris), und wann eine Nutzung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG "zum Zwecke" eines Pastiche erfolgt (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 41, juris), sind vorliegend die Voraussetzungen für ein Pastiche nicht erfüllt.

Denn § 51a UrhG, der der Umsetzung von des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG dient, schränkt die Rechte des Urhebers zur Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches ein. Die Schranke (auch) des Pastiches unterliegt jedoch jedenfalls der Bindung an diesen Zweck, die hier überschritten ist: Selbst wenn die Zweckbindung es erlauben mag, Teile des Werks – ggf. künstlerisch abgewandelt – wiederzugeben, ist eine alleinige Nutzung des fremden Werkes ausgeschlossen (in diesem Sinne auch LG Berlin Urt. v. 19.10.2021 – 15 O 361/20, GRUR-RS 2021, 45895 Rn. 27, beck-online). Eine solche Nutzung ist vorliegend gegeben, weil das Video des Klägers die Fabel von Heinrich Bölls Anekdote vollständig wiedergibt; und zwar nur diese, ohne dass eigene Zusätze des Beklagten erfolgen würden. Lediglich die äußere Darstellung als Video hat der Beklagte gewählt, gibt die von Heinrich Böll geschaffene Fabel wie aufgezeigt jedoch unverändert wieder, ohne darüber hinauszugehen."

3.

Kritik: Dieses enge Verständnis der neuen, unionsrechtskonform auszulegenden Pastiche-Schranke nach § 51a Satz 1 UrhG ist meines Erachtens zweifelhaft und jedenfalls nicht durch den Wortlaut des § 51a Satz 1 UrhG vorgezeichnet, wonach ausdrücklich die Nutzung eines gesamten vorbestehenden Werkes zum Zwecks des Pastiche zulässig ist. Gemeinhin werden insoweit nur wahrnehmbare Unterschiede zum Originalwerk (ohne dass dies in der neuen Nutzung verblassen muss) und eine ernsthafte, z.B. künstlerische Auseinandersetzung mit dem vorbestehenden Werk gefordert.

So betont etwas das LG Berlin in seinem Urteil vom 2. November 2021, Az. 15 O 551/19 – The Unknowable, dass § 51a UrhG eine anlehnende Nutzung, die an ein vorbestehendes Werk erinnert, demgegenüber aber in Abgrenzung zur reinen Vervielfältigung (Plagiat) wahrnehmbare Unterschiede aufweist und eine inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Werk oder einem anderen Bezugsgegenstand erkennen lässt, gerade priviligiert. Bei einem Pastiche handelt es sich nach Ansicht des LG Berlin um "einen kommunikativen Akt der stilistischen Nachahmung, wobei auch die Übernahme fremder Werke … erlaubt" sei. Und die Gesetzesbegründung zu § 51a Satz 1 UrhG nennt als konkrete Beispiel für ein Pastiches u.a. Remixe, Memes und Cover, die häufig eine alleinige, gleichwohl veränderte und kommunikative Nutzung eines vorbestehenden Werks darstellen.

Mit diesen Widersprüchen wird daher sich wohl das OLG Köln in der Berufungsinstanz auseinanderzusetzen haben, und dabei möglicherweise den Ausgang des Vorlageverfahrens abwarten, das der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 14. September 2023, Az. I ZR 74/22 – Metall auf Metall V in der Sache Kraftwerk ./. Pelham eingeleitet hat.

4.

Nach Ansicht des LG Köln scheitert die konkrete Nutzung allerdings auch am sog. Drei-Stufen-Test gem. Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-RiL 2001/29, da das Video den kommerziellen Absatz des Böll-Textes beeinträchtigen könne; auch dies ist meines Erachtens zweifelhaft, das der Gesetzgeber z.B. bei Covern im Musikbereich nicht von einer entsprechenden Substitution ausgeht:

"dd) Das Verfahren war auch nicht etwa mit Blick auf die EuGH Vorlage durch den Beschluss des BGH vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 – Metall auf Metall V – auszusetzen, bis über die Vorlagefragen entschieden ist.

Denn unabhängig davon erfüllt die Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung der Anekdote von Heinrich Böll durch den Beklagten in dem streitgegenständlichen Video nicht die Anforderungen des "Drei-Stufen-Tests" gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG.

Dem Ziel des angemessenen Ausgleichs von Rechten und Interessen trägt Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG Rechnung (vgl. EuGH, GRUR 2019, 929 [juris Rn. 62] - Pelham u.a.; GRUR 2019, 934 [juris Rn. 61] - Funke Medien NRW). Danach dürfen die in Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden ("Drei-Stufen-Test"). Hierin liegt zum einen eine Gestaltungsanordnung gegenüber dem nationalen Gesetzgeber in Bezug auf die Konkretisierung der Schranken des Urheberrechts, zum anderen ist Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG aber auch Maßstab für die Rechtsanwendung im Einzelfall (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 139/15, GRUR 2020, 853 [juris Rn. 57] = WRP 2020, 1043 - Afghanistan-Papiere II, mwN; zitiert nach: BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 47, juris).

(1) Zwar mag der ersten Voraussetzung des im vorliegenden Einzelfall durchzuführenden Drei-Stufen-Tests gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG durch die Einführung der Pastiche-Schranke in § 51a UrhG genügt sein, weil es sich um einen gesetzlich geregelten Sonderfall handelt (so BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 48, juris).

(2) DemgegenĂĽber ist davon auszugehen, dass bereits die Kriterien der 2. Stufe nicht erfĂĽllt sind.

Bei der auf zweiter Stufe vorzunehmenden Prüfung, ob die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird, ist in den Blick zu nehmen, ob durch die beanstandete Verwendung die Möglichkeiten des Rechtsinhabers zum rechtmäßigen Absatz verringert werden (vgl. EuGH, Urteil vom 26. April 2017 - C-527/15, GRUR 2017, 610 [juris Rn. 70] = WRP 2017, 677 - Stichting Brein; zitiert nach: BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 49, juris).

Von einer in diesem Sinne verringerten Möglichkeit des rechtmäßigen Absatzes durch die Klägerin ist im vorliegenden Fall auszugehen.

Maßgeblich ist, dass - wie sich aus dem 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29/EG ergibt - mit den in Art. 5 der Richtlinie enthaltenen Ausnahmen von den in Art. 2 und 3 der Richtlinie vorgesehenen Rechten ein "angemessener Ausgleich" von Rechten und Interessen insbesondere zwischen den Urhebern und den Nutzern von Schutzgegenständen gesichert werden soll. Folglich muss bei der Anwendung der Ausnahmen gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG in einem konkreten Fall ein angemessener Ausgleich zwischen den Grundrechten der in den Art. 2 und 3 der Richtlinie genannten Personen auf der einen und den Grundrechten des Nutzers eines geschützten Werks, der sich auf die Ausnahme im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie beruft, auf der anderen Seite gewahrt werden (vgl. EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 26 f.] - Deckmyn und Vrijheidsfonds; EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-469/17, GRUR 2019, 934 [juris Rn. 70] = WRP 2019, 1170 - Funke Medien NRW; EuGH, GRUR 2022, 820 [juris Rn. 87] - Polen/Parlament und Rat; zitiert nach: BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 36, juris).

Vorliegend ist kein derartiger „angemessener Ausgleich“ zwischen den Interessen des Urhebers bzw. der Klägerin als Rechteinhaberin und den Interessen des Beklagten als Werknutzer zu erkennen. Vielmehr ginge die hiesige Werknutzung durch den Beklagten einseitig zulasten der Klägerin. Denn die Kammer hält es für eine naheliegende Folge der öffentlichen Zugänglichmachung des Videos des Beklagten, dass die Rezipienten des Videos gerade nicht mehr den ursprünglichen Text der Anekdote lesen werden. Folglich werden sie auch keine von der Klägerin verlegten Bücher kaufen und damit das Verwertungsrecht der Klägerin aushöhlen. Zwar mag auch denkbar sein, dass es Rezipienten gibt, die sich von dem Video anregen lassen, das Werk Bölls tiefergehend zu studieren und deshalb Bücher der Klägerin zu kaufen. Die Kammer hält diesen Fall aber eher für die Ausnahme. Im Übrigen stünde es dem Beklagten frei, bei der Klägerin eine Lizenz für diese Nutzung nachzufragen bzw. umgekehrt der Klägerin als Rechteinhaberin frei, für diese Nutzung eine Lizenz zu erteilen. Wenn aber wie hier die Klägerin sich bewusst dagegen entscheidet, entsprechende Lizenzen zu erteilen, kann diese dem Rechteinhaber zustehende Entscheidung nicht durch die Anwendung der Schrankenregelung unterlaufen werden.

(3) SchlieĂźlich genĂĽgt das Video des Beklagten auch nicht den Anforderungen der 3. Stufe.

Auf dritter Stufe ist eine ungebührliche Verletzung der Interessen des Rechtsinhabers zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise der kommerzielle oder nicht-kommerzielle Charakter der Nutzung, der Umfang der Entlehnung, der Grad der Umgestaltung und eine etwaige Verwechslungsgefahr, die Frage, ob eine Auseinandersetzung mit dem Werk oder mit anderen Themen vorliegt, und das Gewicht der betroffenen Grundrechte zu berücksichtigen (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 51, juris, m.w.N.).

Wie ausgeführt, hat der Beklagte die vollständige Fabel aus der Anekdote von Heinrich Böll übernommen, mithin in erheblichem Umfang das vorbestehende Werk übernommen. Eine Auseinandersetzung mit dem Werk oder mit anderen Themen erfolgt in dem Video des Beklagten nicht; wie ebenfalls bereits ausgeführt, wird die Fabel vielmehr in dem Video des Beklagten genauso wie in der Anekdote von Heinrich Böll erzählt.

Nicht zuletzt führt auch die Abwägung der betroffenen Grundrechte dazu, dass eine Verletzung der Interessen der Klägerin gegeben ist, die diese nicht hinnehmen muss. So stellt sich schon die Frage, welches Grundrecht zugunsten des Beklagten in die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Abwägung im vorliegenden Fall überhaupt zur Anwendung kommen könnte. Hingegen genießen die Rechte von Heinrich Böll als Urheber der Anekdote und die der Klägerin als Inhaber der Verlagsrechte an der Anekdote den Schutz des geistigen Eigentums gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta (vergleiche BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 38, juris).

Zwar kann eine Nutzung von Werken oder anderen Schutzgegenständen zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches in den Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 11 EU-Grundrechtecharta) oder der Kunstfreiheit (Art. 13 EU-Grundrechtecharta) fallen (BGH, EuGH-Vorlage vom 14. September 2023 – I ZR 74/22 –, Rn. 38, juris). Eine Meinungsäußerung ist mit der Erstellung des Videos nicht verbunden, zumal es gerade das Besondere der Anekdote ist, dass sie keiner der beiden „Philosophien“ den Vorzug gibt. Etwas anderes bringt auch das Video des Beklagten nicht zum Ausdruck.

Nach Auffassung der Kammer ist aber auch bereits zweifelhaft, ob die Übernahme der im Kern unveränderten Fabel aus der Anekdote von Heinrich Böll in das Video des Beklagten von dem Grundrecht der Kunstfreiheit überhaupt geschützt ist. Denn eine wie auch immer geartete künstlerische Auseinandersetzung erscheint vor diesem Hintergrund wie oben wiederholt ausgeführt zweifelhaft. Für die Kammer steht die Aufbereitung des Stoffs der Anekdote für ein an neue Medien gewöhntes Publikum im Vordergrund.

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das Video durchaus eigene individuelle Züge enthält, namentlich was die Auswahl der gesprochenen Worte oder die bildliche Darstellung von Personen, Landschaft und Requisiten betrifft. Mit Blick auf diese hier nicht entscheidungserheblichen Umstände könnte sich der Beklagte in anderem Kontext ggf. auf die Kunstfreiheit berufen. Im Verhältnis zur Klägerin handelt es sich aber primär um einen Eingriff in deren absolute Verwertungsrechte, der nicht von der Kunstfreiheit gedeckt ist. Aus der Sicht der Klägerin besteht damit die Gefahr, dass die Rezipienten des Videos das im Kern übernommene Werk Heinrich Bölls über das Video konsumieren, von einem Erwerb der von der Klägerin verlegten Anekdote jedoch absehen. Auch wenn der Beklagte – nach seinem Vortrag – das Video nicht gegen Entgelt anbietet, richtet sich sein Angebot auf dem YouTube Kanal auch nach seiner Darstellung aber gezielt an Schüler, die sich unter anderem mit dem Werk von Heinrich Böll auseinandersetzen (müssen), und damit potentielle Kunden der Klägerin sind.

Damit liegt eine ungebührliche Verletzung der Interessen der Klägerin im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG vor."